Afrikanische Seiten

Wenn wir einander begegnen und Freude daran haben, andere Perspektiven einzunehmen als die gewohnten, wird das Leben aller Beteiligten reicher.

Auszug aus Reisenotizen von Alexandra Schwendenwein bei einem Forschungsaufenthalt in Mali (Westafrika), Juni–September 1996

”Ich saß im Bus der mich von von San, einer kleinen Stadt in Mali, nach Bamako, der Hauptstadt Malis, bringen sollte. Ich hatte den frühen Bus genommen, um noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen, da ich den Weg vom Zentrum der Stadt zu meiner Unterkunft eher bei Tageslicht als im Dunklen zu finden hoffte.
Der Bus sollte um 10 Uhr starten. Bis alle ihr Gepäck verstaut hatten, angemessene Sitzplätze gefunden und sich für die lange Fahrt gut eingerichtet hatten, war es 11:30 Uhr. Kaum losgefahren, bemerkte eine Mitreisende einen Karottenverkäufer: der Bus hielt an, sie kaufte Karotten. Kaum hatten wir die Stadt verlassen, plagte einen Mitreisenden der Durst, der Bus blieb stehen, er kaufte Wasser. So ging es fort, Erdnüsse, Ingwersaft… die Fahrt dauerte länger und länger…
Ich war genervt… endlich sagte ich, dass ich dringend bevor es dunkel würde nach Bamako müsse, sonst fände ich nicht nach Hause!!
Nein, der Bus fuhr danach nicht zügiger: Aussteigen und Beten zur Gebetszeit, Essenspause wenn eine/r hungrig war, Klopausen, selbstvertändlich…
Typisch?
Ineffizient?
In stockdunkler Nacht kamen wir an… und: eine Mitreisende begleitete mich heim…

Jedes Bedürfnis wurde gehört!
Im öffentlichen Autobus!

Hieß es nicht, afrikanische Gesellschaften seien besonders gemeinschaftsorientiert? Das Wohl der Gruppe gehe über das Wohl des/der Einzelnen? Das dürften mein Busfahrer und meine Mitreisenden anders gesehen haben: jede und jeder einzelne – alle sollten zufrieden sein. Bei meinen Forschungsarbeiten zum Thema Demokratisierung in Mali – der Sturz des Diktators Moussa Traoré 1991 in Mali, bestätigten mir etliche InterviewpartnerInnen:
Konsens sei in Mali ein grundlegender Wert.
Und Konsens finden, jedes Bedürfnis hören und darauf eingehen – das braucht Zeit.

Unsere westliche Gesellschaft gilt dagegen als stärker individuenorientiert. Dennoch legen westliche Demokratie–Konzepte nahe, es reiche aus, wenn knapp über die Hälfte der WählerInnen zufrieden sind.“

Wie kann es gelingen, beim Betrachten anderer Kulturen und Lebensentwürfe über unsere eigenen kulturellen und persönlichen Vorprägungen hinauszusehen?

Was gewinnen wir persönlich und gesellschaftlich, wenn wir die Logik anderer kultureller Kontexte nachvollziehen, gewohnte Modelle durch neue Sichtweisen erweitern?